Von CARSTEN KNOP, Fotos: DANIEL PILAR · 30.Juni 2021
Im Willinger Upland kann man lernen, was Humus mit der CO₂-Speicherung im Boden zu tun hat, was Kühe damit zu schaffen haben – und warum es bei Bauer Lorenz für sie besonders schön ist.
Es gibt Recherchen, die beginnen am Kühlschrank daheim. Irgendwann steht man dann in einem Kuhstall am Nordufer des Edersees. Zurück in der Redaktion wird die Frage gestellt, ob Kuhmilch für den menschlichen Körper nicht ohnehin das völlig Falsche sei. Dann liest man ein Buch, um es noch genauer zu wissen – und stellt fest, dass man wieder auf ein Thema gestoßen ist, in dem Schlagworte und Ideologien die Rolle einer Ersatzreligion übernommen haben. Dass es zu einer Glaubensfrage geworden ist, ob und wessen Milch man trinkt. Sicher ist: Wenn, dann sollte es Milch von Kühen wie denen von Sven und Stefanie Lorenz sein. „Ob Milch gut bekömmlich ist? Da fragen sie den Falschen“, sagt Bauer Lorenz im Stall – und lässt keinen Zweifel daran, dass sein eigener Körper mit Milch keine Schwierigkeiten hat. Auch Karin Artzt-Steinbrink, die Chefin der Upländer Bauernmolkerei, zu der Lorenz seine Milch bringen lässt, findet, dass das jeder für sich selbst herausfinden müsse: Natürlich gebe es Unverträglichkeiten, aber bei welchem Lebensmittel sei das nicht der Fall? Der Konsum von Kuhmilch sei jedenfalls seit Jahrhunderten mit der Geschichte der Menschheit verknüpft.
Kehren wir nochmal zum Ausgangspunkt der Recherche zurück, dem heimischen Kühlschrank. Dort steht Kuhmilch seit einiger Zeit wie selbstverständlich neben einem Produkt, das aus Hafer und Mandeln gewonnen wird. Die Kuhmilch ist ein, so glaubt man, vorbildliches Bio-Produkt. Die Kühe, die sie gegeben haben, stehen viele Monate im Jahr auf der Weide, werden, wann immer es geht, mit frischem Gras gefüttert, Gentechnik spielt keine Rolle, die Bauern bekommen für ihre Arbeit faire Preise. Die Molkerei, die die Milch produziert, ist eher klein und ein Pionier der Bio-Bewegung. Auf der moralisch sicheren Seite steht aber selbst diese Molkerei heutzutage nicht mehr automatisch. Neben der Frage der Verträglichkeit, muss sie sich, genauso wie ihre Kunden, mit dem Vorwurf auseinandersetzen, die Kuh selbst sei ein Klimakiller. Mal abgesehen davon, dass es unethisch sei, dem Kalb die Milch wegzutrinken, sei Nutztierhaltung ohnehin inakzeptabel.
Stefanie und Sven Lorenz, Inhaber des Bio-Bauernhofs Lorenz in Vöhl
Viel auf einmal für eine Molkerei und Bauern, die in einem Marktumfeld einen Weg finden müssen, der auch ohne diese gesellschaftlichen Debatten steinig genug ist. „Wir haben seit gestern zwei neue Kälber“, sagt Sven Lorenz zur Begrüßung. Eine gute Nachricht? Nicht unbedingt. Klein seien sie, Zwillinge. In einem konventionellen Betrieb werde es jetzt schwierig für die Kleinen. „Die Mast ist eigentlich unwirtschaftlich, aber wir versuchen es trotzdem, bei mir verlässt kein Tier für 10 Euro zur Verwertung den Hof.“ Also werden die Kälber mit vielen, vielen Litern Milch hochgepäppelt, weggetrunken wird ihnen nichts. Und vielleicht wird aus ihnen ja doch noch etwas, das möchte Lorenz sich erst einmal ansehen, bevor weitere Entscheidungen getroffen werden. Insofern können sich die beiden Kälber jetzt in Ruhe umschauen auf dem Hof und den Wiesen rund herum, hier in Vöhl am Edersee. Lorenz hat häufig Helfer und Helferinnen, die hier ein Freiwilliges Ökologisches Jahr absolvieren. „Die kommen auch schon mal als Veganer hier an“; sagt Lorenz. Sein Ziel sei es, die jungen Leute davon zu überzeugen, dass man die Welt der Nutztierhaltung auch noch mit anderen Augen betrachten könne. Und nicht wenige habe er schon davon überzeugt, dass mit Milch und Kühen auch alles in bester Ordnung sein könne.